Angewandte Schizophrenie: „Islamkritik“ und die „Ideologie des Regenbogens“

Bekanntlich werfen „Islamkritiker“ in Politik und Medien Muslimen nicht nur pauschal eine konservative Auffassung von der „Rolle der Frau“1 vor – sondern auch eine konservative Sexualmoral, zu der auch die Ablehnung sexueller Minderheiten gehört (allen voran die prototypischen „Schwulen“).

Allen voran natürlich die Islamparanoiker von „PI-News“, die bei Bedarf immer gern den Schulterschluss mit LBGT-Aktivisten2 suchen. Zustimmend zitieren sie z.B. einen Aufruf, in dem dazu aufgefordert wird, „nicht wegzusehen, wenn weltweit und hierzulande in muslimischen Gesellschaften, Sozialmilieus und Parallelgesellschaften die Rechte von Frauen, Andersgläubigen und Schwulen beständig verletzt werden.“3

Meist ist die Wortwahl freilich nicht so vornehm wie hier. „Wehren sich Schwule endlich gegen den Islam?“ fragt PI-News an anderer Stelle; „Die dümmsten Schwulen holen sich ihre muslimischen Schächter selbst“ behaupten sie.

Wenn ein „Travestie-Künstler migrantisch verprügelt wird“, ist ihnen das ebenso eine Meldung wert, wie wenn ein „südländisch“ aussehender Täter Homosexuelle auf der Straße angreift: „Wenn das nicht mal eine mohammedanisch befohlene [sic] Attacke war!“ Gleich wird noch ein Ranking der „Reisesicherheit für Homosexuelle“ in 183 Staaten thematisiert, in dem „haufenweise islamische Staaten das allgemeine Schlusslicht“ bildeten. Das ist nicht nur stilistisch unter aller Sau: Was ist ein „allgemeines Schlusslicht“ und was muss man sich unter einem „haufenweise gebildeten“ Schlusslicht vorstellen…? Es ist auch Anlass, den Post mit dem – im Vergleich zu dem oben zitierten vergleichsweise zurückhaltenden Statement – „Ein Schelm, wer beim “südländischen” Täter an einen Moslem denkt“ zu schließen.

Wenn „die Türkei Lesbierinnen [sic] ein Kind wegnehmen“4 will, ist das auf PI-News Anlass zur Empörung und zur Lobhudelei auf den „gewohnt deutlichen“ Geert Wilders.

Aber wenn sie nicht gerade dazu dient, Hetze gegen muslimische Einwanderer zu legitimieren, ist die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare in christlich geprägten westlichen Staaten den (wenigen) Damen und (vielen) Herren von PI-News nicht nur herzlich egal, sondern geradezu ein Dorn im Auge: Wenn in Frankreich „Hunderttausende gegen Homoehe“ aufmarschieren, wird das wohlwollend notiert und als „Höhepunkt des neuen bürgerlichen Erwachens in Europa“ bejubelt. Dass der homosexuelle ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Kauch auf Umwegen Vater geworden ist, bezeichnet PI-News nicht nur als „gefährliche Blüte“ der „Homo-Ehe“; die Seite sieht sich auch zu Mutmaßungen darüber veranlasst, ob „der „Neue Mensch“, der der Traum jeder totalitären Ideologie ist, [so] doch noch geschaffen“ worden sei. An anderer Stelle heißt es, dass wir „in 15 oder 20 Jahren statistisch feststellen [werden], daß von Schwulen adoptierte Kinder überdurchschnittlich schwere psychische Störungen aller Art aufweisen.“

Die Äußerungen von PI-News zu diesem Thema kann man umgangssprachlich nur als schizophren bezeichnen: Selbstverständlich ist man für die Gleichstellung verschiedengeschlechtlicher Paare, die gerne auch Kinder adoptieren dürfen – aber doch bitte nur rein hypothetisch und auch das nur solange, wie Muslime dagegen sind…!

Und dass Homosexuelle aufgrund selbstverständlich im Einzelfall nachzuweisender Verfolgung (nicht nur) in mehrheitlich muslimischen Staaten in der EU Asyl erhalten sollen, passt PI-News natürlich erst recht nicht: Denn „Wenn diese vollautomatische [sic] Regelung […] durchgesetzt wird, haben es Asylbetrüger und Wirtschaftsflüchtlinge noch leichter. Einfach sagen ‚Bin schwul‘ […] und schwuppdiwupp ist man im Schlaraffenland BRD aufgenommen. Die mitgereisten vier Ehefrauen sagen dann, sie seien lesbisch!“ Natürlich ist der Islam eine grässlich homophobe Ideologie, aber das darf doch bitte kein Grund sein, „Südländer“ ins (christliche Abend-) Land zu lassen! Da könnte ja jeder kommen, wo kämen wir denn da hin…?!

Hätte es – außer den zahlreichen homosexuellenfeindlichen Posts auf PI-News – noch eines weiteren Belegs bedurft, wie verlogen die demonstrative Homophilie des „islamkritischen“ Milieus ist, wäre er spätestens jetzt erbraucht. Derzeit läuft eine Petition gegen das Vorhaben der grün-roten Landesregierung, Homosexualität und Diskriminierung im Unterricht Baden-Württemberger Schulen zu thematisieren. Ausdrücklich wenden sich die Initiatoren der Petition gegen ein „zu befürwortendes Klima der Akzeptanz“ von Homosexualität und warnt vor einer „Infragestellung der heterosexuellen Geschlechter von Mann und Frau“ durch eine „pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung“.

Netterweise gibt es auf der Seite der Petition ein kleines Diagramm, das in Form einer Tag-Cloud, das visualisiert, von welchen Webseiten die Unterstützer kommen. Wie zu erwarten erscheinen dort nach der offiziellen Seite der Initiatoren gleich und mit großem Abstand – niemand anders als unsere Freunde von PI-News, die natürlich auch begeistert für die Petition trommeln: „Je mehr die Petition unterzeichnen, umso schwieriger wird es für grün-rot, ihre Bildungspläne zu rechtfertigen!“

Herkunft der Unterstützer

Schade eigentlich, dass sich bisher noch keine muslimischen Verbände gegen die „Ideologie des Regenbogens“ in Baden-Württemberg positioniert zu haben scheinen – es wäre höchst interessant zu sehen, wie PI-News & Co. eine solche Konvergenz ihrer Interessen mit den Fanatikern der anderen Seite erklären würden…


  1. vgl. Wiglaf Droste, Die Rolle der Frau und andere Lichtblicke, Edition Tiamat, Berlin 2001. 

  2. Aktivsten und Aktivistinnen, AktivsInnen, Aktivist_innen – bevorzugte Schreibung bitte hier vorstellen. 

  3. Hintergrund des Aufrufs ist die zeitweilige Suspendierung eines (homosexuellen und nach eigener Einschätzung „linken“) beamteten Politiklehrers eines städtischen Dortmunder Gymnasiusm namens Dr. Daniel Krause. Krause hatte in Köln an einer Kundgebung von Pro NRW teilgenommen; siehe Martin Niewendick, „‚Linker Lehrer‘ suspendiert: Reaktionen“, Ruhrbarone.de, 12.06.2012; Andreas Winkelsträter, Dortmunder Lehrer trat bei Pro NRW auf, WAZ.de, 12.06.2012; Christian Scheuß, Daniel Krause: Als Linker auf dem rechten Holzweg, Queer.de, 08.04.2013.
    Zwischenzeitlich hatte Krause sich ausdrücklich von Pro NRW distanziert – er habe über diese Partei „nicht so detailliert Bescheid gewusst“; diese habe auf ihn gar „liberal, schwulenfreundlich und feministisch“ gewirkt, so Krause wörtlich im Gespräch mit einem Dortmunder Lokalsender. Markus Bauer, Interview mit Daniel Krause – „Lehrer über seinen Auftritt bei Pro NRW“, Radio 91.2, 14.06.2012. Siehe auch Martin Niewendick, Interview mit Daniel Krause – „Es war ein großer Fehler, diese Rede gehalten zu haben“, Ruhrbarone.de, 12.06.2012; Andreas Winkelsträter, Peter Ring, Interview mit Daniel Krause – „Beurlaubter Lehrer aus Dortmund bedauert ‚spontanen‘ Auftritt bei Pro NRW“, WAZ.de, 13.06.2012.
    Wie plausibel eine solche Verteidigung mit der eigenen Naivität bei einem promovierten Soziologen und Pädagogen aus Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 wirkt, auch im Hinblick auf seine späteren Interviews mit einschlägigen Medien (siehe etwa Felix Strüning, Interview mit Daniel Krause – „Als Homosexueller liebe ich die 68er“, CitizenTimes.eu, 16.01.2013, Interview mit Daniel Krause mit ungenanntem Autor – „Angst muss jedem gestattet sein“, Preußische Allgemeine Zeitung, 30.07.12) sowie eine eigene Buchveröffentlichung in einem dubiosen Verlag (Daniel Krause, Als Linker gegen Islamismus – ein schwuler Lehrer zeigt Courage, HJB-Verlag, Radolfzell 2013; siehe auch Jan Heitmann, Interview mit Daniel Krause – „Westliche Toleranz verteidigen“, Preußische Allgemeine Zeitung, 14.01.13; vgl. kritisch Christian Scheuß, Daniel Krause: Als Linker auf dem rechten Holzweg, Queer.de, 08.04.2013), soll an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden. 

  4. Zum Hintergrund siehe Rob Savelberg, „Türkei will lesbischen Müttern Kind wegnehmen“, Welt Online, 17.03.2013.